Nadeschda Sawtschenkos Plädoyer vom 2. März 2016
Übersetzung: tamisdat.com, 3. März 2016.
Ich werde Russisch sprechen, um keine Zeit für einen Übersetzer und, wie ich verstanden habe, auch noch mein Geld zu verschwenden, obwohl er den Menschenrechten gemäß unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden muss. Erstens möchte ich bei den Anwesenden um Vergebung für mein emotionales Verhalten bitten. Tatsächlich ist es sehr schwer, ein halbes Jahr lang ein und dieselbe Schwindelei zu hören und sie dann noch einen ganzen Tag lang erneut zu hören. Deswegen war es für mich schwierig, auf die Rede des Staatsanwalts anders zu reagieren.
Was das Plädoyer anbelangt: In diesem halben Jahr langer und stumpfsinniger Verhandlungen haben wir gelernt, dass die Schuld in diesem Gerichtsprozess bewiesen worden ist: die Schuld der Journalisten, der russischen Journalisten. Sie sind schuldig an Schwindelei und verlogener, verzerrter Berichterstattung bezüglich der Ereignisse in der Ukraine, der Welt und auch in Russland. Wir konnten einen solchen Journalisten sehen, der über schwangere Frauen und erschossene Männer „Geschichten aus dem Wiener Wald“ erzählt. Sie sind auch schuldig, Sicherheitsmittel verschmäht zu haben. Wenn sie schusssichere Westen und Helme getragen hätten, wären sie am Leben geblieben. Wenn sie sich nicht dort, wo man nicht soll, eingemischt hätten, wären sie am Leben geblieben.
Hier wurde die Schuld der russischen Fernsehsender bewiesen. Sie, ihre Besitzer, die Redaktionen sind schuldig, ihre eigenen Leute um eines schönen, farbenfrohen Bildchens willen, um einer verlogenen Information willen in den sicheren Tod geschickt zu haben. Ohne Ausbildung, ohne Schutz. Das hat die Ratings angehoben, Ertrag eingebracht. Ihre eigenen Journalisten sind ihnen vollkommen egal. Jene Leute sind es, die vor allem am Tod von [Anton] Vološin und [Igor’] Korneljuk schuld sind. Es sind ihre Vorgesetzten.
Wir haben ein Video gesehen, wo eine Moderatorin gesagt hat, dass die ukrainischen Medien lügen würden – die russischen Journalisten Vološin und Korneljuk hätten Helme und kugelsichere Westen getragen. Sogar in dieser Verhandlung wurde bewiesen, dass sie keine Helme und kugelsichere Westen hatten. Die russischen Fernsehsender lügen.
Die Schuld der Separatisten und russischen Soldaten wurde bewiesen. Sie sind schuldig, das ukrainische Volk auf unserem ukrainischen Grund und Boden umzubringen. Sie sind schuldig an der Okkupation ukrainischen Grund und Bodens. Und sosehr hier die „friedlichen Bewohner des Donbass“, die Leidtragenden und dieselben Separatisten, gewinselt haben, dass nur die ukrainischen Streitkräfte sie umbringen, wurde sogar in diesem Video von Egor Russkij, der übrigens russischer Staatsbürger ist, eine Masse von Beweisen dafür vorgelegt, wie gerade die Separatisten ukrainische Soldaten abknallen und umbringen.
In dieser Verhandlung wurde die Schuld des FSB und des Ermittlungskomitees der Russischen Föderation bewiesen. Sie sind schuldig, Leute zu entführen. Sie sind schuldig an Folterungen. Die Gruppe von [Oleg] Sencov, gleichermaßen [Nikolaj] Karpjuk und [Stanislav] Klych waren Folterungen ausgesetzt. Diese Ämter und Komitees sind schuldig, es fertig zu bringen, nachdem sie Leute entführen und foltern, Verfahren [gegen sie] zu fabrizieren, die Leute anzulügen und zu versuchen, sie zu verurteilen. Sie fabrizieren Gutachten. Beweis für all das sind die 40 Bände meines hirnverbrannt verblendeten Verfahrens.
Auch die Schuld der Staatsanwälte und der russischen Gerichte wurde in dieser Verhandlung bewiesen. In den ganzen zwei Jahren, die ich hier sitze und alle Instanzen durchlaufe, wurde ich überzeugt, dass diese Leute weder Ehre noch Gewissen haben noch irgendwie die Gesetze einhalten. Ihnen sind das internationale Recht, die Menschenrechte vollkommen egal. Sie haben nur eines: einen Staatsauftrag vom Kreml, und sie erfüllen ihn sorgfältig.
In dieser Verhandlung wurde die Schuld der russischen Führung bewiesen. Sie ist schuldig an der territorialen Annexion ukrainischen Grund und Bodens, der Annexion der Krim, der Entfesselung des Krieges im Donbass. Sie ist schuldig, in ihren unangekündigten, niederträchtigen Kriegen auf der ganzen Welt zu versuchen, ein totalitäres Regime unter der Dominanz Russlands zu errichten. Sie mischt sich überall ein und bringt mit einem Genozid die ganze Bevölkerung um. Wir haben das in Tschetschenien und Abchasien beobachtet, jetzt sehen wir es in der Ukraine, in Dagestan und in Syrien. Überall dominieren Politik und Interessen des russischen Staats über Menschenleben – unter anderem über das Leben von Menschen, die Einheimische des Grund und Bodens sind, der für ihr staatliches Interesse verantwortlich ist. Darin besteht die Schuld der russischen Führung.
In dieser Verhandlung wurde nur meine Schuld nicht bewiesen. Ich bin Offizier der ukrainischen Streitkräfte. Ich hatte volles Recht, meine Erde zu verteidigen. Ich habe meine Pflicht erfüllt. Ihr richtet nicht über eure Veteranen aus dem Zweiten Weltkrieg. Ihr richtet warum auch immer nur nicht über die Euern. Dafür haben sie so viele Menschen umgebracht, indem sie ihre Erde verteidigt haben. Ihr habt überhaupt kein Recht, über mich zu richten.
Man hat den Fokus darauf gelegt, dass ich sehr eingebildet sei, und sich dabei auf ein Gutachten gestützt – die Staatsanwaltschaft hat es gewagt, eine solche Erklärung zu machen. Dazu möchte ich sagen: je mehr ich solchen weibischen Männern wie den Anwälten und dem Untersuchungsrichter [Dmitrij] Man’šin begegne, desto mehr wächst mein Selbstwertgefühl als Frau, als Soldat und als Mensch.
Ich weiß nicht, wie lange sich dieser Prozess noch hinziehen wird, aber ich möchte gleich sagen: Falls es wieder dazu kommen sollte, dass die Staatsanwälte drei Wochen für ein Plädoyer beantragen, werde ich dafür sofort Verteidigungsmechanismen ansetzen. Falls das Gericht mehr als zwei Wochen für die Erlassung eines Urteils brauchen sollte, das sowieso von oben diktiert ist und sowieso schon längst geschrieben ist, trete ich vom morgigen Tag an in den Hungerstreik und ihr werdet das Urteil über mich posthum, ohne mich fällen.
Ich erachte es nicht für nötig, irgendeinen Austausch zu erwarten. Wenn ihr diesen Fall politisch lösen und eure zwei schuldigen Geheimdienstler für einen Unschuldigen nehmen wollt, ist das zu viel – man musste Sencov und [Aleksandr] Kol’čenko gegen Geheimdienstler austauschen. Ich bin kein Handelsgegenstand, ich bin ein unschuldiger Mensch. Meine Schuld wurde nicht bewiesen und kann nicht bewiesen werden. Deswegen werde ich keinerlei Austausche, keinerlei Händel und keinerlei Zeitverzögerungen abwarten.
Und die Hauptsache ist: Bitte gebt den Staatsanwälten so viel, wie sie verlangen. Keinen Tag mehr, keinen Tag weniger. Die ganzen 23 [Jahre]. Man braucht nicht mehr oder weniger zu geben, damit sie Zeit für irgendwelche Kassationsbeschwerden und abermalige Zeitverzögerungen haben. Ihr habt bereits bewiesen, dass ihr zu nichts taugt. Ihr habt bereits bewiesen, wie sich Russland am Beispiel eines einzigen Menschen blamieren kann. Ihr habt mich nicht gebrochen und werdet mich niemals brechen. Deswegen beendet all das in maximal kurzer Zeit, ich werde nicht länger warten. Nicht ihr habt mir das Leben gegeben, nicht ihr seid die Besitzer meines Schicksals und es liegt nicht an euch, es zu entscheiden. Wenn es mehr als zwei Wochen dauern wird, werde ich das Urteil nicht erwarten. Das ist alles.