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Igor’ Krjučkov, Andrej Vinokurov: Übersetzungsschwierigkeiten beim Putin-Interview. Wie sich die Kre

Quelle: gazeta.ru, 12. Januar 2016, 21:04.

Übersetzung: M. Roth, 2. März 2016.

Die deutsche Zeitung BILD hat die russischsprachige Variante eines Interviews mit Vladimir Putin nicht abgesprochen. Das ist aber nicht der Hauptgrund für die bedeutenden Unterschiede zwischen den Interviewversionen, die auf den Internetseiten der Zeitschrift und des Kreml publiziert worden sind. In der deutschsprachigen Version sind die Fragen härter, die Reaktion des Präsidenten unseres Vaterlands aber lebendiger. In der BILD-Redaktion hält man nur die deutsch- und englischsprachigen Versionen für offiziell.

Wie die Sprecherin der BILD-Zeitung Marin Ule [Transliteration aus dem Kyrillischen, bislang nicht auffindbar] „Gazeta.Ru“ erklärt hat, hat die Redaktion der Zeitschrift zwei Varianten des Interviews vorbereitet: eine auf Deutsch und eine auf Englisch. Beide Versionen sind auf bild.de am Montag, den 11. Januar (erster Teil des Interviews) und am 12. Januar (zweiter und letzter Teil) erschienen. Gleichzeitig ist auf der offiziellen Seite des Kreml der russischsprachige Text der Publikation erschienen – um 6 Uhr am Montag- bzw. Dienstagmorgen.

Zur selben Zeit wurde offensichtlich, dass sich die russischsprachige Textversion von den anderssprachigen Versionen unterscheidet. Von einer wesentlichen Sinnverfälschung ist nicht die Rede, jedoch ist die allgemeine Tonart der Kreml-Version weitaus sanfter.

Auf der Kreml-Seite lautet die erste Frage, die angeblich von den deutschen Journalisten gestellt wurde, folgendermaßen:

„Wir haben soeben 25 Jahre Beendigung des ‚kalten Kriegs’ gefeiert. Im vergangenen Jahr wurde auf der ganzen Welt eine große Anzahl von Kriegen und Krisen beobachtet, wie es sie lange Jahre nicht gegeben hat. Was haben wir falsch gemacht?“

In der deutschsprachigen Version entpuppt sich die Frage des Journalisten „Was haben wir falsch gemacht?“ als etwas anderes:

„Was ist so fürchterlich schiefgelaufen im Verhältnis zwischen Russland und dem Westen?“

Außerdem sind einige Bemerkungen der deutschen Journalisten aus dem Interview ausgefallen. Zum Beispiel ist der folgende Satz aus dem ersten Teil der russischsprachigen Publikation verschwunden:

„Im Ernst – die zentraleuropäischen Staaten wollten doch aus freiem Willen in der Nato Mitglied werden. Sie versprachen sich Sicherheit davon.“

Putins Antwort auf diese Bemerkung gibt es zwar, findet sich aber bereits in einem anderen Kontext.

Der Redakteur von kremlin.ru hat auch die Frage über den Ausschluss Russlands aus den G-8 verändert. Anstatt der Formulierung:

„[Herr Präsident, die internationale Gemeinschaft hat Russland inzwischen geradezu geächtet. Bei den G-8-Treffen der Führer der wichtigsten Industriestaaten der Welt dürfen Sie nicht mehr dabei sein.] Wie sehr schmerzt Sie das?“

heißt es auf der Kreml-Seite:

„Herr Präsident, werden Sie irgendwelche Schritte unternehmen, um das Format G-7 wieder als Format G-8 herzustellen?“

Aus der russischsprachigen Version ist auch Putins Zitat verschwunden, das der Journalist aufführt:

„Im Jahr 2000 haben Sie gesagt, die wichtigste Lehre aus dem Kalten Krieg sei: Nie wieder Konfrontation in Europa. Heute ist diese Konfrontation wieder da.“

Aus dem zweiten Teil des Textes ist eine weitere Bemerkung des BILD-Journalisten verschwunden:

„Aber die politischen Verhältnisse in Russland wirken nicht wie die in einer europäischen Demokratie.“

Abgesehen von den verschwundenen Formulierungen ist die russischsprachige Version diplomatisch „justiert“. Zum Beispiel wiederholt Putin in seiner „Kreml“-Antwort auf die den Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran betreffende Frage zwei Mal, dass Russland die Hinrichtung des pro-iranischen schiitischen Klerikers Nimr al-Nimr, die anti-saudische Unruhen im ganzen Nahost verursacht hat, „bedauert“.

In der deutschsprachigen Version klingen Putins Worte pragmatischer. Der russische Präsident sagt lediglich, dass die Hinrichtung al-Nimrs „ein Fehler der Führung in Saudi-Arabien“ sei.

Bei der Erörertung der Situation mit dem Kosovo lautet die Kreml-Variante:

„Nehmen Sie von mir aus einen Brief, den das amerikanische Außenministerium geschrieben hat, oder eine Rede des britischen Repräsentanten. Nehmen und lesen sie, was dort geschrieben steht. Der Kosovo hat seine Unabhängigkeit erklärt und die ganze Welt hat das im Grunde akzeptiert, wissen Sie, auf welche Weise? [...] Mit einem Parlamentsentscheid. Sie haben nicht einmal ein Referendum durchgeführt.“

In der BILD-Variante werden die Briefe des Außenministeriums nicht erwähnt und es heißt:

„Das können Sie in allen Akten nachlesen, auch in den deutschen.“

Folgende Antwort des Journalisten wurde in der Kreml-Version ebenfalls über Bord geworfen:

„Zuvor hatte die serbische Zentralregierung aber Krieg gegen die Kosovo-Albaner geführt und sie zu Tausenden vertrieben. Das ist doch ein Unterschied.“

Auch die Diskussion über das Problem mit der Ukraine klingt auf bild.de und kremlin.ru verschieden.

In der russischsprachigen Version sagt Putin, dass von Kiew vor allem eine Verfassungsreform abhängt.

In der deutschen [Version], dass von der ukrainischen Führung die Einstellung des Feuers im Osten des Landes abhängt.

[Tatsächlich ist die Sache noch ein wenig komplexer, der betreffende Passus wurde in der "Kreml-Version" enorm umgearbeitet.]

Bemerkungen der Journalisten über „die von Russland unterstützten Separatisten“ sind in der russischsprachigen Version ebenfalls verschwunden.

Zugunsten der Diplomatie wurde auch der Dialog zwischen Putin und dem deutschen Journalisten, der die Statusänderung der Krim betrifft, abgeändert: „Was verstehen Sie unter ,Krim‘?“, fragt Putin.

„Die Veränderung von Grenzen“, antwortet der Gesprächspartner gemäß der Version von kremlin.ru.

Auf der BILD-Seite findet sich eine andere Antwort:

„Die einseitige Verschiebung von Grenzen in einem Europa, das ganz besonders auf dem Respekt vor Staatsgrenzen fußt.“

Die russischsprachige Verabschiedung der Bild-Journalisten von Putin fällt ebenfalls weitaus herzlicher als in der Version der Deutschen aus. Anstatt:

„Herr Präsident, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.“

lautet der Text auf kremlin.ru:

„Ich danke Ihnen, Herr Präsident, für das wundervolle und sehr ausführliche Gespräch.“

Die BILD-Redaktion hat auf die Nachricht von der Kreml-Regidierung gelassen reagiert. „Wir haben den russischsprachigen Text des Interviews nicht abgesprochen, deswegen können wir keine Verantwortung für seinen Inhalt übernehmen“, wurde „Gazeta.Ru“ bei der deutschen Zeitschrift mitgeteilt.

Nach Ansicht von Alexander Rahr, Forschungsdirektor des Deutsch-Russischen Forums, fügen die Unterschiede in den Interviewversionen nur Fragen hinzu, die in Deutschland nach dieser Publikation aufgekommen sind.

„BILD ist die wichtigste Zeitung der deutschen Unter- und Mittelschicht“, hat der Gesprächspartner „Gazeta.Ru“ erzählt. „Die Zeitschrift hat Putin sehr lang als Blutsauger bezeichnet und extrem kritische Artikel über Russland publiziert. Deswegen ist es umso merkwürdiger, dass gerade jetzt, wo die deutsche Gesellschaft turbulente Zeiten wegen der Migrantenkrise durchlebt, in einer so kritischen Zeitung wie BILD ein großes Interview mit Putin erscheint, wo ihm ein kompletter Blankoscheck für Äußerungen gegeben wird.“

Rahr haben besonders andere Bemerkungen interessiert, die in der Kreml-Variante des Interviews nicht herausgefallen sind.

„In der deutschsprachigen Version gibt es Absätze, die davon erzählen, wie Putin sich im Dialog mit den Journalisten benimmt. Es wird gesagt, wie er schaut, wie er mit dem Übersetzer streitet“, hat der Experte angefügt. „Es ist nicht ganz klar, was die Redaktion damit erreichen wollte.“ Gemäß Rahr erscheint Putin einerseits als sehr gebildet, indem er Klassiker der deutschen Literatur zitiert [Putin hat die erste Strophe von Heines Lorelei mehr oder weniger korrekt deklamiert, was nicht unbedingt gleich ein Beweis außergewöhnlicher Bildung sein muss], andererseits im Gegenteil als Politiker selbstunsicher. „Vielleicht wollte die BILD eine größere Lebendigkeit der Darstellung erreichen, mich hat eine solche Attitüde aber leicht erstaunt“, sagt Rahr. Nach seinen Worten hat das Putin-Interview in Deutschland den Effekt einer geplatzten Bombe hervorgerufen. Es hat deutsche Skeptiker nicht von der Meinung abgebracht, dass Deutschland erneut den Schulterschluss mit Russland suchen muss, zumal es gewiss eine Diskussion über die Rolle des Kreml in der europäischen Politik provoziert hat, glaubt der Experte.


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