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"Ein ungewöhnlicher Ort mit ungewöhnlichen Menschenschicksalen". Der Dokumentarfilm "


„Das unbekannte Weissrussland“.

Aus dem Leben eines „nichtstaatlichen Asyls“

20. April 2015, 14:12

Maxim Jaroschewitsch

Quelle: belsat.eu

Der Regisseur Andrei Kutilo/Andrej Kuzyla [russisch Andrej Kutilo, weissrussisch Andrej Kucyla], Teilnehmer und Preisträger zahlreicher internationaler Filmfestivals, hat für den Fernsehsender „Belsat“ den Dokumentarfilm „Gäste“ [russisch Gosti, weissrussisch Gosci] gedreht.

Der Film baut auf der aufmerksamen und langandauernden Beobachtung des Lebens in einer weissrussischen Ortschaft auf – des ersten und vielleicht einzigen informellen Asyls für arme und erschöpfte Menschen.

„Es ist ein ungewöhnlicher Ort mit ungewöhnlichen Menschenschicksalen und einem ungewöhnlichen Organisationssystem der Koexistenz“, erzählte Regisseur Andrei Kutilo „Belsat“. „Es ist eine existenzielle Reise für eine Stunde in eine andere, nicht immer bemerkbare, manchmal unangenehme Menschenwelt, nach der ich selbst und, wie ich hoffe, auch der Zuschauer eine neue Erfahrung erlangt. Ich spreche nicht davon, dass sich der Mensch, wenn er den Film gesehen hat, sofort zum Besseren verändert und sich beeilt, sein Leben aufzuopfern, oder plötzlich barmherzig wird. Nein! Es beginnt sich einfach etwas in der Seele zu regen, du wirst aufmerksamer zu Menschen und deiner Innenwelt, empfindsamer, befreist dich vielleicht, wenn auch nur für kurze Zeit, vom Schutzpanzer.“

Der Protagonist des Films, Alexei Schtschedrow/Aljaksej Schtschadrou [russisch Aleksej Ščedrov, weissrussisch Aljaksej Ščadroŭ] arbeitete einst als Arzthelfer [„Feldscher“] beim Rettungsdienst [„Schnelle Hilfe“]. Bei Einsätzen musste man oft Obdachlose auf den Strassen mitnehmen, nach einigen Kilometern warf die Brigade sie aber wieder nach draussen. Als Alexei hinter Gitter kam, stand er als für niemanden von Nutzen da. Das Gefängnis stellte die Weltanschauung des ehemaligen Arzthelfers auf den Kopf. Sein Ideal wurde Mutter Teresa – die Verkörperung des christlichen Vorbilds von Unermüdlichkeit, Barmherzigkeit und Liebe für die Ausgestossenen. Nach seiner Freilassung vagabundierte und lebte Alexei einige Jahre bei katholischen Kirchen.

Dann liess er sich im Dorf Alexandrowka im Rajon Schtschutschyn [in der Hrodsenskaja Woblasz in Westbelarus] nieder, wo er ein Asyl organisierte und begann, arme, kranke und obdachlose Menschen aufzunehmen, sich um sie zu kümmern und ihnen bei der Wiederbeschaffung von Dokumenten zu helfen, damit sie in ein normales Leben zurückkehren können. Den örtlichen Behörden aber missfiel Alexeis Initiative. Bereits seit der Gründung und im Verlaufe von drei Jahren schwierigen Bestehens drängten Beamte den ehemaligen Feldscher, das Asyl zu schliessen. Auf der Suche nach Spenden und seelischem Beistand wandte sich Alexei nach Italien...

Die Aufnahmegruppe begleitete ihn. Ihnen widerfuhren dort Abenteuer und Prüfungen – die notwendigen Orte konnten sie nicht aufsuchen, weil in Italien an Weihnachten fast keine öffentlichen Verkehrsmittel fahren und es mit Autobussen sehr schwierig ist. „Uns hat aber, wie wir später entschieden haben, ein Schutzengel in Gestalt eines Zugschaffners geholfen, der sich anerboten hat, uns dorthin zu fahren, wohin wir mussten“, erinnert sich Andrei Kutilo.

Im Vatikan zwang die Wache die Aufnahmegruppe, die Videoaufnahmen nach ziemlich langer Arbeit zu löschen. Es stellte sich heraus, dass Aufnahmen mit professioneller Ausrüstung auf dem Petersplatz verboten sind. „Für die legale Erlaubnisbeschaffung hatten wir einfach keine Zeit, wir mussten auf eine List verfallen, nahmen im Endeffekt aber alles auf, was wir wollten“, gestand der Regisseur.

Bei „Art-Sjadziba“ wird ein Film über ein einmaliges Obdachlosenasyl in Belarus gezeigt.

15. April 2015, 13:23

Maxim Jaroschewitsch

Quelle: belsat.eu

Der Film wir am [Samstag] 18. April [2015] um 19 Uhr bei „Art-Sjadziba“ in Minsk, prospekt Nezavisimosti 58, Zimmer 430 gezeigt. Ferner wird die Premiere des Streifens auf „Belsat“ am Samstag um 20:00 gesendet. [...]

Dieser Film ist nicht nur eine Erzählung über das Existenzproblem von Wohlfahrtsinitiativen in unserem Staat, sondern auch eine existentielle Reise in eine andere, nicht immer bemerkbare, manchmal unangenehme Menschenwelt. [...]

An der Minsker Premiere eines Films über ein einzigartiges Asyl hat die „Belsat“-Direktorin teilgenommen.

19. April 2015, 14:25

Maxim Jaroschewitsch

Quelle: belsat.eu

Die Premiere des Dokumentarfilms „Gäste“ [...] bei „Art-Sjadziba“ [in Minsk] war ausverkauft. Ungefähr 60 Menschen hatten sich zur Darbietung eingefunden. Nicht alle von ihnen fanden im Saal Platz, weswegen sie gezwungen waren, den Streifen in Durchgängen und auf Balkonen des ersten Stocks von „Art-Sjadziba“ stehend anzuschauen.

An der Darbietung nahm die „Belsat“-Direktorin Agnieszka Romaszewska-Guzy teil, die auf Anfrage der Anwesenden ihre Eindrücke zur Reise nach Belarus nach fast zehnjähriger Absenz mitteilte.

Die Zuschauer hatten Gelegenheit, Andrei Kutilo, den Schöpfer von „Gäste“, kennenzulernen und ihre Eindrücke vom Film mitzuteilen. Ihre Fragen stellten so berühmte Persönlichkeiten wie Juri Chaschtschewatski (Regisseur), Roman Podoljako (Schauspieler des Janka-Kupala-Theaters), Alexander Karpow (Regisseur und Lehrer Andrei Kutilos an der Belarussischen Staatlichen Akademie der Künste) und Sergei Filimonov (Moderator der Sendung „Vidimo-nevidimo“).

Die „Gäste“, von denen der Film erzählt, sind die Bewohner des Asyls, das Alexei Schtschedrow, ehemaliger Häftling und jetzt Nachfolger der Heiligen Teresa von Kalkutta, im Dorf Alexandrowka im Rajon Schtschutschyn organisiert hat.

Einst arbeitete Alexei Schtschedrow als Arzthelfer [„Feldscher“] beim Rettungsdienst [„Schnelle Hilfe“]. Er gesteht, dass man bei Einsätzen oft Obdachlose auf den Strassen mitnehmen musste, die Brigade sie aber nach einigen Kilometern wieder nach draussen warf. Jetzt sucht er solche Armen selbst auf – auf Strassen und Mülldeponien.

Seine Weltanschauung stellte das Gefängnis auf den Kopf, wohin er für den Verkauf von Drogen kam und woraus es ihm durch Amnestie zu entkommen glückte. Nach seiner Freilassung vagabundierte, lebte und arbeitete Alexei einige Jahre lang bei Kirchen. Später liess er sich im Dorf Alexandrowka nieder, wo er ein ungewöhnliches Asyl gründete, in dem in allen Jahren seines Bestehens etwa 100 Menschen erwärmt, gespeist, menschlich versorgt und mit Fürsorge und Hoffnung bedacht worden sind.

Die gebrechlichen, armen Menschen sind gezwungen, sich bei Inspektionen [russ. proverki] und Besuchen von Vertretern der örtlichen Behörden, die das Funktionieren des Asyls behindern, als „Gäste“ zu bezeichnen. Aber dort erhalten die einen Armen eine Chance, nach dem Gefängnis oder dem Verlust von Dokumenten zu einem normalen Leben zurückzukehren, und andere, würdig zu sterben – nicht auf der Strasse, sondern im wörtlichen und übertragenen Sinne in der Wärme.

Die Abteilung für innere Angelegenheiten des Rajons Schtschutschyn hat ein Strafverfahren gegen Schtschedrow angestrengt – angeblich wegen der Tätigkeit einer nichtregistrierten religiösen Organisation. Mit der Hilfe von Menschenrechtlern ist es dem Asyl gelungen, sich als private soziale Einrichtung zu registrieren. Im Jahr 2014 erzwangen örtliche Beamte die Herausgabe der Registrierungsdokumente – jetzt droht ein erneutes Strafverfahren. Obwohl Alexei Schtschedrow das tut, was eigentlich der Staat tun müsste, fördert dieser die Armenfürsorge nicht nur nicht, sondern stört sie im Gegenteil wie er nur kann.

Der Film „Gäste“ wurde in Belarus und Italien gedreht, wohin sich Alexei Schtschedrow auf der Suche nach Spenden und seelischem Beistand wandte. Auf dieser Reise bemühte er sich als Bruder der Barmherzigkeit Luigi armen und gebrechlichen örtlichen Bewohnern zu helfen. Alexei kann gut Italienisch: der Zögling eines Waisenhauses und –internats in Braslau [Kleinstadt in Nordbelarus] wurde während sieben Jahren jeweils im Sommer in einer italienischen Familie aufgenommen.

Ein Film von „Belsat“ hat am Filmfestival „Listapad“ gewonnen.

13. November 2015, 22:29

Maxim Jaroschewitsch

Quelle: belsat.eu

Der Film „Gäste“, den der Regisseur Andrej Kuzila eigens für „Belsat“ gedreht hat, wurde als bester Dokumentarfilm im nationalen Wettbewerb des internationalen Festivals „Listapad“ ["Blätterfall"] ausgezeichnet. [...]

Das ganze „Belsat“-Team gratuliert dem Regisseur Andrej Kuzila von ganzem Herzen und wünscht ihm weitere schöpferische Erfolge.

weitere Texte zu Alexei Schtschedrow:

Der Gründer eines Obdachlosenasyls Alexei Schtschedrow:

„Ich will diesen Menschen helfen und ihnen zu verstehen geben, dass jemand sie liebt und sich um sie sorgt.“

22. Juli 2013

Sergei Sazjuk

Quelle: BelaPAN (14:24), Naviny.by (15:01).

Barmherzigkeit ist in unserem Vaterland nicht angesagt. Sie darf bei uns nur offiziell existieren – ausgestattet mit einem Blätterwust mit Stempeln und wichtigen Unterschriften. Davon wusste Alexei Schtschedrow nichts, der im Rajon Schtschutschyn wohnt und, einer inoffiziellen Barmherzigkeit folgend, in seinem Haus im Dorf Alexandrowka ein Asyl für ins Elend gestürzte Menschen errichtet hat.

„Ich habe das Marienhaus [russ. Dom Marii] für verlassene, im Stich gelassene Menschen geöffnet, die auf der Straße leben und von niemandem gebraucht werden“, sagte er BelaPAN. „So lehrt es mich die polnische katholische Kirche [russ. kostel > lat. castellum]: hilf deinem Nächsten. Vielen, besonders der Polizei, hat das nicht gefallen: der soll ein Pennerhaus angelegt und Alkoholiker und Drogenabhängige aufgelesen haben. Sie hielten fest, dass wir hier beten, gaben im örtlichen Radio bekannt, wir seien eine Sekte, zeigten es im Fernsehen. Ich will diesen Menschen helfen, ihnen zu verstehen geben, dass jemand sie liebt und sich um sie sorgt. Ich weiß nicht, warum das den örtlichen Behörden nicht gefällt. Ich bitte nur um eins: dass man uns in Ruhe lässt.“

Gemäß dem Beschluss von Sergei Ossowika, Chef der Abteilung zum Schutz von Rechtsordnung und Prophylaxe (Rajonabteilung für innere Angelegenheiten ROWD), der die Inspektionsmaterialien geprüft hat, habe Schtschedrow „die Tätigkeit einer nichtregistrierten religiösen Organisation organisiert [sic!] und die Bedingungen für ihr Bestehen ohne Registration in der durch das Gesetz vorgeschriebenen Ordnung sichergestellt“. Im Endeffekt wurde ein Verfahren nach Artikel 193.1 des Strafgesetzbuchs (Tätigkeit im Namen einer nichtregistrierten Organisation) angestrengt, gemäß dem dem Bewohner von Alexandrowka bis zu zwei Jahren Freiheitsentzug droht.

Zurzeit haben fünf Bewohner Obdach im Marienhaus gefunden: zwei sind bettlägerig – der paralysierte Sergei und Wjatscheslaw mit nach einer Erfrierung amputierten Beinen. Zwei Schützlinge haben Arbeit gefunden. Bereits seit mehr als einem halben Jahr hilft Anna Owsejtschik Alexei, den Haushalt zu besorgen und die Kranken zu pflegen.

„Ich war stark von geistigen Getränken eingenommen“, gesteht die Frau. „Ich habe versucht dagegen anzukämpfen, aber jedes Mal verfiel ich wieder dem Suff. Ein Familienleben kam nicht zustande, Gott gab mir keine Kinder – allgemein führte das eine zum andern. Hier bin ich wie zum zweiten Mal zur Welt gekommen. Wenn es mich nicht hierher verschlagen hätte, weiß ich nicht, was mit mir geschehen wäre. Jeder Mensch kann stolpern, aber gebt ihm die Möglichkeit, wieder auf die Beine zu kommen. Und hier kann man auf die Beine kommen – wir führen ein enthaltsames Leben, es gibt keine Versuchung, die Menschen leben mit Gott. <...> Ich werde hier gebraucht, ich fühle mich hier als Mensch.“

Anna wendet sich an alle guten Menschen: „Ich bitte aus ehrlichem Herzen: helft, lasst nicht zu, dass unser Asyl geschlossen wird. Im Gegenteil: es soll sich weiterentwickeln – es gibt hier noch so viele zugrunde gerichtete Schicksale!“

Ob die Chefs von Schtschutschyn den Schrei ihrer Seele hören, weiß Gott allein. Selbst wenn es nicht ausgeschlossen ist, das sie zur Kirche gehen, Kerzen aufstellen, die Knie beugen. Mögen sie jetzt mit einer Tat bezeigen, dass Barmherzigkeit nicht Schall und Rauch ist, sondern wirklich existiert und Unterstützung erfordert.

Die belarussischen Behörden haben die Anklage gegen Alexei Schtschedrow fallen gelassen

September 2013

Das Strafverfahren gegen den Aktivisten Alexei Schtschedrow, der Obdachlosen Hilfe anbietet, ist eingestellt worden. Ihm droht keine Strafe in Form eines zweijährigen Freiheitsentzugs mehr, der in Belarus für die „Tätigkeit einer Person einer nichtregistrierten religiösen Organisation“ vorgesehen ist.

Am 11. September stellte das Ermittlungskomitee das Strafverfahren ein, das gegen den 28-jährigen Katholiken Alexei Schtschedrow angestrengt worden war. Am 24. September erhielt Alexei Schtschedrow den öffentlichen Beschluss. Das Strafverfahren gegen Alexei Schtschedrow war vom Chef der Rajonabteilung für innere Angelegenheiten (ROWD) im Rajon Schtschutschyn am 11. Juni nach Artikel 193.1 des Strafgesetzbuches der Republik Belarus angestrengt worden. Der Artikel sieht strafrechtliche Verantwortung für die Beteiligung an Tätigkeiten nichtregistrierter Organisationen vor. Schtschedrow wurde angeklagt, dass er seit Juli 2012 „an seinem Wohnort die Tätigkeit einer nichtregistrierten religiösen Organisation organisiert und die Bedingungen für ihr Bestehen ohne Registration in der durch das Gesetz vorgeschriebenen Ordnung sichergestellt“ habe. Im Februar und im April 2013 führte die Polizei Inspektionen bei ihm zuhause durch, wobei bei der Inspektion im Februar bei ihm religiöse Literatur beschlagnahmt wurde.

Am 27. August 2013 gelang es Alexei Schtschedrow, seine Organisation als private Einrichtung für soziale Hilfe „Glaube an dich“ [russ. Pover’ v sebja] zu registrieren. Seit Dezember 2011 unterhält Alexei Schtschedrow in seinem eigenen Privathaus in einer Ortschaft im Westen der Oblast Hrodna ein Obdachlosenasyl mit einem Gebetszimmer. Er versorgt Bedürftige, darunter Obdachlose, Alkoholiker und Drogenabhängige, mit Essen und Kleidung und stellt ihnen Übernachtungs- und Waschmöglichkeiten zur Verfügung. In der Kältezeit der Jahre 2012 und 2013 lebten in seinem Asyl ungefähr 30 Menschen.

„Amnesty International“ hält Artikel 193.1 für eine Verletzung des Rechts auf Vereinigungsfreiheit und bemüht sich um seine Abschaffung aus dem Strafgesetzbuch der Republik Belarus. Der Artikel 193.1 wurde am 15. Dezember 2005 ins Strafgesetzbuch eingetragen. Kraft dieses Artikels wird jede beliebige „Tätigkeit einer Person einer nichtregistrierten Organisation“, u.a. politischer Parteien und religiöser Organisationen, als strafbare Handlung klassifiziert, die mit einer Buße oder Freiheitsentzug von bis zu zwei Jahren bestraft wird. Im Jahr 2011 beschloss die vom Europarat gegründete Europäische Kommission für Demokratie durch Recht („Venedig-Kommission“), dass „der Artikel 193-1 allein schon durch seine Existenz die Tätigkeit von Nichtregierungsorganisationen hemmt“ und dass „die Einschränkung einen so rigorosen Charakter trägt, dass nicht nur die Vereinigungsfreiheit, sondern auch die Meinungsfreiheit und ihre Äußerungen bis zu einem ungerechtfertigten Maß verletzt werden“.

Wir danken allen, die an den Hilfsaktionen für Alexei Schtschedrow teilgenommen haben!


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