"Diese Leute werden sich einfach hoffnungslos besaufen, ins Gefängnis kommen und es wird ihnen
Seit Anfang September [2015] ist es an den Fronten des Donbass-Krieges still geworden. Bisweilen flackern noch sporadisch Scharmützel unter Einsatz von Schusswaffen und Granatengewehren bei Gorlovka, Mar’inka und anderen Gefahrenherden an der Kontaktlinie auf, aber gleichwohl steht all dies in keinem Vergleich zur Frühlings- und Sommerphase, als allenthalben das Abkommen über die Einstellung des Feuers missachtet worden ist und der Beschuss (unter anderem auch von Artilleriegeschütz) den gesamten Donbass, von der Küste des Asowschen Meeres bis zur Luganščina, erfasst hat.
So ruhig wie jetzt war es im Osten der Ukraine seit Anbeginn des Krieges im April 2014 nicht mehr. Es ist nicht auszuschließen, dass die Situation noch einen bösen Verlauf nimmt, wenn die mit Kiev nicht abgestimmten Wahlen näher rücken – in der Donezker Volksrepublik [DNR] sind sie für den 25. Oktober, in der Lugansker Volksrepublik [LNR] für den 1. Dezember anberaumt (übrigens haben die Separatisten Kiev bereits eine neues „Kompromiss“-Datum für die Wahlen angeboten – den 21. Februar 2016) –, aber gleichwohl ist die Wahrscheinlichkeit der Wiederaufnahme von großangelegten Kriegshandlungen gering: Der Kreml’ hat einen Kurs eingeschlagen, der den Krieg einfrieren und die selbsternannten Republiken unter Einhaltung einer größeren Autonomie und der politischen Kontrolle von Seiten Russlands zurück an die Ukraine geben will.
Das Einfrieren des Konflikts und der tatsächliche Rückgang von kriegerischen Szenarien über eine Expansion des sogenannten Neurusslands haben sich auch auf das Innenleben der selbsternannten Republiken ausgewirkt. Die gehässigsten Anführer der Separatisten, Igor’ Strelkov und Aleksandr Borodaj, hat Moskau bereits im Sommer 2014 gezwungen, den Donbass zu verlassen. Anschließend wurden Igor’ Bezler, Nikolaj Kozicyn und weitere einflussreiche Kriegsfürsten entfernt.
2015 hat der Druck auf den „ideellen“ Teil der separatistischen Bewegung zugenommen. Repräsentanten der Partei Drugaja Rossija („Anderes Russland“) wurden vom lokalen Ministerium für Staatssicherheit (MGB) aus der DNR ausgewiesen. Auch Mitglieder von Rusič, einer Gruppe, die sich hauptsächlich aus rechtsextremen Abteilungen unter der Führung von Aleksej Mil’čakov herausgebildet hat, haben den Donbass verlassen. Von den konsequenten Befürwortern einer „russischen Welt“ wurde der Rücktritt des Vorsitzenden des DNR-Volksrats, Andrej Purgin, sehr schmerzlich zur Kenntnis genommen. Dieser hatte die Idee des Separatismus bereits zu Zeiten des Präsidenten Viktor Juščenko befördert. Zunehmend konzentrieren die gänzlich unter der Kontrolle Moskaus stehenden „technischen Führer“ alle kriegerische und politische Macht in den selbsternannten Republiken in ihren Händen. Sie sind bereit, jedem beliebige Kommando aus dem Kreml’ Folge zu leisten, unter anderem auch bezüglich des endgültigen Abschlusses des Projektes „Neurussland“.
Unter diesen Bedingungen verstärkt sich der Abzug der russischen Freiwilligen aus der Ostukraine. Immer häufiger begegnet man von riesigen Rucksäcken beschwerten Leuten mit verwitterten Gesichtern und DNR-LNR-Fahnen auf den Straßen des „Hafens der fünf Meere“ Moskau. Von hier aus fahren sie sukzessive in ihre Regionen zurück. Falls die Kriegshandlungen nicht mit der früheren Intensität wiederaufgenommen werden, bekommt Russland zehntausende Menschen, die mit sehr spezifischen Wertesystemen, Fertigkeiten im Umgang mit Waffen und wahrscheinlich mit ebendiesen Waffen aus der Konfliktzone zurückkehren. Der russische Staat, der seit eineinhalb Jahren auf jede erdenkliche Art und Weise Freiwillige und Söldner angeworben und an die Donbass-Front verfrachtet hat, versucht sich jetzt verzweifelt gegen den Strom von Waffen, die nun in die entgegengesetzte Richtung kommen, zu verwahren – an der Grenze zwischen der Oblast Rostow und dem Donbass hebt man sogar Gräben aus.
Russische Staatsbürger, die im Donbass gekämpft haben, lassen sich grob in folgende Kategorien einteilen:
1. Offiziere und Vertragssoldaten der Russischen Armee, welche die offizielle Propaganda „[Front]urlauber“ nennt.
2. Freiwillige, die aus verschiedenen Motiven ideologischen Charakters in den Krieg gezogen sind: von der Errichtung eines abermaligen „Tausendjährigen Reichs“ bis zum „Schutz der Frauen und Kinder vor der Bestialität der Strafbrigaden“.
3. Söldner: diese sind in der Regel keine professionellen „Kriegshunde“, sondern Männer aus depressiven Regionen, gekommen, um ihre Fertigkeiten, die sie irgendwann einmal zur Zeit des Armeedienstes erworben haben, zu Geld zu machen, um auf Kredit bezahlt zu werden und ihre darbenden Familien zu versorgen.
4. Freiwillige, die in den Reihen der ukrainischen Freiwilligenbataillone gegen die Separatisten gekämpft haben: diese bilden eine vergleichsweise kleine Gruppe von ideologischen Gegnern des Putinregimes. Übrigens können sie nicht mehr in die Heimat zurückkehren, da ihnen dort praktisch zu hundert Prozent die Verhaftung droht. Die russischen Ordnungshüter nennen tatsächlich sie und nur sie „Söldner“.
Als fünfte Gruppe könnte man die Bewohner des Donbass (formell Bürger der Ukraine) unterscheiden, welche auf Seiten der DNR-LNR an den Kriegshandlungen teilgenommen haben, sich aber nicht unter friedlichen Bedingungen in der zerstörten Region einrichten konnten und ihren festen Wohnsitz nach Russland verlegt haben.
Wir haben uns mit dem Kriegsjournalisten und Veteranen des Ersten und Zweiten Tschetschenien-Krieges Arkadij Babčenko darüber, wie gefährlich für die Gesellschaft unsere Mitbürger sein können, die einen der blutigsten Kriege der letzten Jahre durchgemacht haben, und auch über das Kriegsrückkehrersyndrom unterhalten.
[Roman Popkov:] Zurzeit ist es im Donbass verhältnismäßig ruhig und viele russische Staatsbürger, die auf Seiten der Separatisten gekämpft haben, kehren zurück. Werden sie nun zum Problem für das Land und die Gesellschaft?
[Arkadij Babčenko:] Mir scheint, dass diese Leute kein spezifisches Problem für die Gesellschaft werden, das wächst
Einen so starken Zuwachs von Kriegsrückkehrer wie nach Tschetschenien oder erst recht nach Afghanistan wird es nicht geben. Wie man es auch dreht und wendet, die Sache mit dem „Menschenmaterial“, das im Donbass war, ist eine andere. Es bildet bei weitem nicht die fortschrittlichste Bevölkerungsschicht. Ich denke, dass das Problem im Verlauf von drei, vier Jahren von alleine verschwinden wird: Diese Leute werden sich einfach hoffnungslos besaufen, ins Gefängnis kommen und es wird ihnen nichts übrigbleiben, als die Passanten um Almosen zu bitten. Sie werden sich nicht in unsere Gesellschaft eingliedern können und keine relevante Schicht bilden. Sie werden sich nicht organisieren können, um eine solche Schicht zu begründen.
Ja, irgendjemand wird versuchen, von dort Waffen mitzunehmen, aber Russland schottet sich ja bereits von alledem mit einem Zaun in der Oblast Rostow ab, man fängt sie bereits an allen Kontrollposten ab.
Es war von Anfang an klar, dass das eine Einwegfahrkarte ist, niemand wird sie mit Maschinenpistolen und -gewehren zurückkommen lassen.
Die russische Macht kämpft mit den Liberalen, aber mit den Liberalen kämpft sie nur zum Schein. In Wirklichkeit kann der hauptsächliche, fürchterlichste Feind dieser Macht selbstorganisierte bewaffnete Gruppierungen von Leuten sein, die den Krieg durchgemacht haben. Die Macht wird alles daran setzen, solche Gruppierungen gar nicht erst entstehen zu lassen, unter gar keinen Umständen. Die nächsten, die man vernichten wird – da verwette ich mein letztes Hemd –, werden die Veteranengruppen sein, die aus der DNR-LNR zurückgekehrt sind. Das ist ganz gewiss.
Das heißt, bis man sie vernichtet, bis sie sich selbst besaufen und ins Gefängnis gehen, aber schon jetzt hören wir von kriminellen Exzessen mit Beteiligung von Kämpfern aus dem Donbass: unlängst haben sie betrunken in der Moskauer Umgebung Polizisten erschossen und dann hat man ein Mitglied dieser Gruppe sogar bei der Ausreise aus Abchasien gefasst, wo er einen weiteren Mord begangen hat. Ist das etwa kein Problem für die russische Bevölkerung?
Ja, das ist definitiv ein Problem, aber es gilt zu bedenken, dass das in eineinhalb Jahren die einzigen Vorfälle waren. Einen wildwachsenden Zuwachs gibt es nicht und wird es nicht geben. Gelingt es jemandem, Knarren herüberzuschmuggeln – wird es wahrscheinlich noch zig solcher Fälle geben. Die wahre Welle jedoch könnte danach kommen, später – wenn hier alles zum Teufel geht. Dann kommen die DNR und LNR hierher. Dann verwandelt sich ganz Russland in eine gigantische DNR mit Alkoholikern an den Grenzwachen. Dann schauen diejenigen, welche sich bis dahin nicht besaufen und nicht einsitzen, auf. Aber nicht früher, scheint mir.
Kehren die Leute, die vom Krieg im Donbass kommen, mit dem Gefühl des Sieges oder der Enttäuschung, wie geschlagene Hunde, zurück? Wird das nicht höchstwahrscheinlich irgendwie auf das Verhalten abfärben?
Das Kriegsrückkehrersyndrom kommt nach jedem beliebigen Krieg vor, aber es verläuft weitaus gelinder, wenn der Krieg gewonnen wurde. Wenn der Krieg verloren wurde, verwandelt es sich in eine absolute Schwarzmalerei – wie bei uns nach dem Ersten Tschetschenienkrieg. Die Afghanistan-Veteranen sind der Ansicht, dass wir den Afghanistan-Krieg fast gewonnen hätten – wir seien nur zu früh von dort weg. Deswegen ist das afghanische Syndrom auch leichter verlaufen als das tschetschenische. Mit diesen Donbass-Typen wird aber alles gänzlich schlecht.
Sie gelten offiziell nicht als Veteranen, keiner hat sie dorthin, in die Ukraine, geschickt, sie werden keinerlei Hilfe vom Staat erhalten, die Gesellschaft hat sie längst vergessen – selbst als sich noch dort, in der Ukraine, waren.
Man wird sie alle einfangen und drangsalieren, Geld für Prothesen erhalten sie nicht, ebenso wenig den Status als Veteranen. Nach zwei, drei Jahren wird man sie überhaupt für Trottel halten. Wie gesagt werden sie einer absolute Schwarzmalerei verfallen. Der Prozentsatz an Säufern wird jeden Rahmen sprengen.
Unterscheidet sich denn das Kriegsrückkehrersyndrom nach dem Ersten Tschetschenischen Krieg, der verloren wurde, vom Syndrom nach dem Zweiten Krieg?
Im Allgemeinen ja. Weil die russische Gesellschaft – da herrscht ein gewisser Konsens – denkt, dass wir den Zweiten Tschetschenischen Krieg gewonnen haben. Und nach dem Ersten Krieg war alles gänzlich schlecht – man hat eine kampfunfähige Armee, 18-jährige Jungen verheizt. Es gab kein Geld, nichts. Es ist natürlich ein wahrer Graus.
Jetzt haben wir ja über jene gesprochen, die im Donbass aus ideellen Beweggründen gekämpft haben („gegen die Banderowzen [i.e. Faschisten]“, „für Neurussland“), und über jene, die gekommen sind um zu kämpfen, weil man ihnen Geld für die Anwendung von irgendwann in der Armee erlernten Fähigkeiten angeboten hat. Aber es gibt ja auch Jungs, die dort in Ausführung eines Befehls erschienen sind. Das sind Leute aus der Armee – Offiziere, Vertragssoldaten. Was wird aus ihnen in einem friedlichen Leben? Wird sich ihre Geschichte von der Geschichte der Leute, die freiwillig für die Separatisten gekämpft haben, unterscheiden?
Nein, zurzeit hat das Land scheißviel Geld – viele von ihnen werden sie kaufen, mithilfe von Geld zwingen zu schweigen. Gegebenenfalls ist Geld eine sehr wirksame Sache, das sage ich unumwunden. Irgendein Syndrom wird es natürlich geben, aber dennoch muss man verstehen, dass es im Donbass nicht viel reguläre Armee gegeben hat. Unmittelbar an den Kriegshandlungen hat eine vergleichsweise geringe Manneszahl teilgenommen. Man sollte nicht darüber sprechen, dass diese Schicht irgendwie auf irgendetwas Einfluss nehmen wird. Sie wird unbemerkt bleiben, sich auflösen und das war’s dann.
Im Unterschied zu Russland hat dieser Krieg für die Ukraine eine viel größere Dimension und ist sehr beschwerlich. So oder so ist der ganze Staat, die ganze Gesellschaft darin verstrickt. Könnte es sein, dass es dort noch ernstere Probleme mit den Kriegsrückkehrer geben wird als in Russland?
Ja, selbstverständlich ist die Situation dort sehr ernst. Aber, noch einmal, für die Ukraine ist dieser Krieg erstens gerecht und zweitens werden sie ihn gewinnen. Daran, dass die Ukraine den Krieg gewinnt, habe ich von Anfang an nicht gezweifelt, aber jetzt ist es völlig klar. Deshalb wird das Syndrom leichter sein.
Es gibt dort eine gewaltige Freiwilligenbewegung, eine gewaltige Zivilgesellschaft begann sich zu bilden. Sowohl die Freiwilligen als auch die Gesellschaft befassen sich bereits mit diesem Problem. Ja, die Ukraine ist in derselben Verfassung in den Donbass-Krieg getreten wie Russland in den Ersten Tschetschenien-Krieg in den Jahren 1994-1995: ein praktisch gar nicht vorhandener Staat, eine nicht funktionierende Wirtschaft – tiefer fallen kann man nicht. Der ukrainische Staat selbst tut nichts für die Behandlung der Veteranen – ich kann diese Situation sehr gut nachvollziehen. Das ist natürlich schlecht. Das führt unzweifelhaft zu Problemen. Da sehr viele Leute an den Kriegshandlungen teilnehmen, wird das Syndrom massiv und es wird schwierig sein damit umzugehen. Nur mit freiwilligen, gesellschaftlichen Organisationen kann man das Problem nicht lösen: gerade dort muss der Staat eingreifen. Genauso wie er das Problem mit den Flüchtlingen aus dem Donbass angegangen, sich nicht damit beschäftigt hat, will er sich auch nicht mit den Veteranen beschäftigen. Die Probleme der Ukraine rühren daher.
Zurzeit werden unsere Soldaten nach Syrien entsendet. Es werden dort immer mehr. Gibt es irgendwelche düsteren Vorahnungen im Zusammenhang mit Syrien im Kontext unseres Themas?
Die Mehrheit der Kriege, in die wir verwickelt waren, haben langsam und halbherzig angefangen. In den Tschetschenien-Krieg sind wir 1994 langsam, im Verlaufe mehrerer Monate, hineingeschlittert; in den Donbass-Krieg sind wir ebenso langsam hineingeschlittert.
Es geht die Rede, dass wir in Syrien tausend Leute stationiert haben. Wenn es gelingen sollte, dass wir uns mit diesen Tausend begnügen, die in ihrer Basis sitzen werden, ist das bereits gut. Aber ich hege schon jetzt den Verdacht, dass wir uns da letzten Endes gänzlich reinhängen werden, ein weiteres „bescheuertes Kontingent“ hinschicken und uns im Endeffekt ein neues Afghanistan einhandeln. Nochmal für zehn Jahre und mit zehntausenden Leichen.
Nur wird der Krieg dort ein ganz anderer als zur Zeit des Ersten Afghanistan-Krieges: der Gegner ist dort ein anderer, er hat eine andere Ausrüstung, es wird mehr Verluste als in Afghanistan geben.
Nun ja, jeder Diktator muss in seinem Leben drei Dinge erledigen: die Macht ergreifen, eine Boeing abschießen und in sein Afghanistan geraten.
Ein neues Afghanistan wäre das Ende des gegenwärtigen Regimes und ein neues Stadium des Imperiums wäre erreicht, sodass ich bei Syrien sehr besorgt bin.
Es ist nicht gesagt, dass sich die Lage nach diesem dramatischen Szenario entwickeln wird, aber wenn es sich so entfalten sollte – dann gut Nacht.
Überhaupt war die Russische Föderation in der ganzen Zeit ihres Bestehens – in ihrer heutigen Gestalt als unabhängiger Staat seit 1991 – in eine ganze Menge von Kriegen verwickelt. Da war der innere ossetisch-inguschetische Konflikt zu Beginn der 90er Jahre, dann Tadschikistan, wo seit 1992 Krieg herrschte und wir die eine Seite unterstützten, die tadschikisch-afghanische Grenze sicherten, da waren auch die zwei Kriege in Tschetschenien, dann Südossetien und die zähe, viele Jahre dauernde „Kontrolloperation“ im Südkaukasus, schließlich die Ukraine und Syrien. Aber sind in diesem Vierteljahrhundert russischer Unabhängigkeit voller Kriege nicht wenigstens einige funktionstüchtige staatliche Organe entstanden, die sich um die Kriegsrückkehrer kümmern?
Die psychologische Betreuung der Veteranen ist bei uns praktisch inexistent. Völlig. Als ich im Jahr 2000 aus dem Zweiten Tschetschenien-Krieg zurückgekehrt bin, war mein Schädel auch durcheinander. Ich habe bereits damals Aufnahme bei einer Zeitung gefunden und mich irgendwie mit diesem Problem auseinandergesetzt. Ich habe herausgefunden, dass es im Jahr 2001 in ganz Russland keine einzige staatliche Klinik gab, die sich mit den Problemen der Veteranen beschäftigt hätte. Keine einzige! Es ist mir zwar gelungen, eine private Klinik zu finden, aber die war kostenpflichtig. Ich habe das Gefühl, dass sich die Situation überhaupt nicht geändert hat. Maxim ist verreckt – Scheiß drauf. Das Vaterland hat dich aus deinem Dorf gezerrt, in den Krieg geschickt und dort hat man dir Arme und Beine weggesprengt. Dann hat das Vaterland dir 200 Kröten Pension hingeschmissen und da musst du dann selber wieder rauskommen, wennschon, dennschon, ganz zu schweigen davon, dass dich nur schon ein Katheter vierhundert Dollar kostet. Ich erzähle hier nur, was auch wirklich so passiert ist.
Hier hat man schon immer auf die Veteranen geschissen und wird auch in Zukunft auf sie scheißen. -Aber das Problem ist auch, dass sich die Veteranen selber in diesen Jahren nicht in Verbänden organisieren konnten.
Es gibt da lediglich Ruslan Aušev, wobei er praktisch bereits von der Bildfläche verschwunden ist, und das Boevoe bratstvo („Kampfbruderschaft“), welches sich fast gänzlich kompromittiert hat. Die Veteranen konnten nie zu einem bedeutenden Teil der Gesellschaft werden. Nun ja, das versteht sich von selbst: Die Leute, die diese Kriege durchgemacht haben, neigen nun mal nicht zum Kollektivgeist. Na, man hat sich ein Mal und dann ein zweites Mal mit seinen Kameraden getroffen, beim fünften Mal will man das schon nicht mehr. Diese Leute vereint nur die Vergangenheit. In den Ländern, wo es mächtige Veteranenbewegungen gibt, vereint die Leute die Zukunft. Und in der Regel werden die Gesellschaften in den Ländern, wo es eine mächtige Veteranenbewegung gibt (zum Beispiel in den USA und in Großbritannien), auf der Basis eines gemeinschaftlichen Blicks in die Zukunft, auf der Basis von Pazifismus vereint. Ihre Botschaft an die Gesellschaft lautet: „Kinder, lasst das Kriegeführen bleiben. Wir haben den Krieg durchgemacht, wir wissen, was das bedeutet, zum Teufel mit dem Krieg.“ In Russland ist das aber unmöglich.
Stimmt es, dass viele von denen, die auch nur ein Mal im Krieg waren, danach streben, in den Krieg zurückzukehren?
Ja, solche Menschen gibt es viele. Es gibt dafür Begriffe wie „Kriegsmensch“. Das bezeichnet einen Menschen, der durch den Krieg lebt. Ich habe solche Menschen mehrmals im Leben gesehen – sie sind unverwechselbar. Das sind keine Menschen mehr, das sind Halbwesen. Sie benötigen nichts mehr außer Krieg und sie sind superprofessionell. Es gibt einige davon. Es sind Menschen, für die der Krieg zur Droge wird, sie verlieren ob dem Krieg den Verstand. Es gibt genug solche Menschen.
Es gibt Menschen, die sich nicht in ein friedliches Leben einpassen können; sie erlangen vom Krieg keine Befriedigung, können sich in einem friedlichen Leben aber nicht zurechtfinden und fahren abermals dorthin. Es ist ein Teufelskreis. Ich gehöre zu dieser Kategorie. In den Zweiten Tschetschenien-Krieg bin ich als Freiwilliger gegangen – gerade weil ich in einem friedlichen Leben keinen Platz für mich gefunden habe. Es gab einfach sehr viele von uns, die in den Zweiten Tschetschenien-Krieg als Vertragssoldaten zurückgekehrt sind, nachdem wir im Ersten Krieg als Grundwehrdiener teilgenommen haben. Die Leute sind zu Tausenden dorthin gefahren. Ein ordentlicher Prozentsatz von jenen, die schon mal im Krieg waren, kehrt wieder dorthin zurück.
Informationen zu Babtschenko: http://www.zeit.de/2007/11/Der_Kriegsversehrte